Einen äußerst ungewöhnlichen Vorschlag hat die US-amerikanische Abgeordnete Rashida Tlaib jüngst im Kongress eingereicht: den sogenannten „Automatic BOOST to Communities Act“. Dieser beinhaltet das Verteilen von Prepaidkarten, die der Traum eines jeden Bürgers sein dürfte: Diese ganz besonderen Karten, die jeder US-Amerikaner erhalten soll, sind mit 2.000 US-Dollar Startguthaben sowie monatlichen Zahlungen von 1.000 Dollar für die Zeit der Corona-Krise versehen.
Das Novum hierbei ist der vorgeschlagene Weg zur Tätigung von Staatsausgaben. Gemäß dem Vorschlag sollen dafür zwei Platinmünzen mit einem Nennwert von je einer Billion US-Dollar geprägt werden. Ebenso sieht der Vorschlag vor, dass die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve (FED) eigene Schuldtitel zu den eigens gewählten Konditionen zwecks Erreichung ihrer geldpolitischen Ziele begeben darf. Bisher musste die FED mit den Staatsanleihen arbeiten, die das Finanzministerium ausgegeben hat.
Hintergrund der Idee von Rashida Tlaib ist der Umstand, dass die selbstauferlegte Staatsschuldengrenze, die sogenannte „Debt Ceiling“, die Umsetzung einer solchen wirtschaftspolitischen Maßnahme zur Bewältigung der Krise behindern könnte. Stehen geplante Ausgaben in Widerspruch zur Staatsschuldengrenze, entsteht ein verfassungsmäßiges Trilemma für die Regierung, bei dem sie entweder einseitig die Schuldenobergrenze verletzen, die Steuern erhöhen oder Ausgabenverpflichtungen nicht nachkommen kann. Da alle drei Optionen eine direkte Verletzung der vom Kongress verabschiedeten Gesetze erfordern, stellen sie jeweils verfassungswidrige Maßnahmen dar.
Es gibt allerdings einen verfassungskonformen Ausweg. Die Schuldengrenze wird nur auf ausstehende Staatsanleihen und nicht auf im Umlauf befindliche Banknoten und Münzen angewendet. Die Prägung von Münzen mit hohem Nennwert könnte also eine Lösung des Trilemmas sein ― und gleicht letztlich einem Buchhaltungstrick. Die US-amerikanische Verfassung erlaubt nämlich im folgenden Paragrafen die Prägung von Platinmünzen mit beliebigem Nennwert:
„The Secretary of the Treasury may mint and issue … platinum coins in accordance with such … quantities [and] denominations … as the Secretary, in the Secretary’s discretion, may prescribe from time to time.”
Ein ähnlicher Vorschlag wurde bereits 2011 im Kontext der sogenannten „Debt Ceiling Crisis“ in den Diskurs eingebracht, damals jedoch nicht ernsthaft erwogen.
Die Münzprägung umgeht Staatsschulden
Sofern der Kongress den Vorschlag bewilligt, weist das Finanzministerium die Münzprägeanstalt an, die entsprechenden Münzen zu prägen. Die Münzprägeanstalt prägt die Platinmünzen zum entsprechenden Nennwert und verkauft diese an die FED. Diese kreditiert das Zentralbankkonto der Münzprägeanstalt zum Nennwert der Münzen. Im letzten Schritt weist das Finanzministerium dann die Münzprägeanstalt an, das Zentralbankguthaben weiterzureichen, an welchem Punkt der Nennwert der Münzen dann zur Ausgabe bereitstünde. Die Platinmünzen würden auf der Vermögensseite der FED verbucht und auf Ewigkeit in ihrem Besitz verharren.
Sobald die Ausgaben getätigt werden, führen diese ― ebenso wie in der gegenwärtigen Praxis ― zu einem Überschuss an Reserven im Interbankenmarkt und üben abwärtsgerichteten Druck auf den Interbankenzins aus. Möchte die FED ihr Zinsziel erreichen, so muss sie geldpolitisch intervenieren und die überschüssigen Reserven aus dem Bankensektor ziehen. Hierzu verkauft sie üblicherweise vorher vom Finanzministerium ausgegebene Staatsanleihen. Da die Münzprägung das Begeben von Staatsanleihen umgeht, sieht der „Automatic BOOST to Communities Act“ zum Zwecke der Geldpolitik vor, der Zentralbank das Recht zur eigenständigen Ausgabe von Schuldtiteln einzuräumen.
Vorteile politischer und pädagogischer Natur
Wie die Modern Monetary Theory (MMT) verdeutlicht, führt jede Staatsausgabe zur Schöpfung von Zentralbankguthaben und jede Besteuerung zur Vernichtung von Zentralbankguthaben. Diese Feststellung ist unabhängig davon, ob das Finanzministerium zur Tätigung von Ausgaben das Zentralbankkonto „überzieht“, die Druckerpresse bzw. Münzprägung bemüht oder im Vorfeld der Ausgaben Staatsanleihen an die Zentralbank (direkte Finanzierung) oder den Kapitalmarkt (indirekte Finanzierung) verkaufen muss. Rein funktional hat die Münzprägung gegenüber den anderen Optionen also keinen nennenswerten Vorteil.
Vielmehr sind die Vorteile politischer und pädagogischer Natur. Der offensichtlichste Vorteil liegt dabei in der Umgehung der Schuldengrenze begründet. Gerade jetzt, wo die schnelle Bereitstellung von umfassenden Staatshilfen geboten ist, verliert die Regierung nicht kostbare Zeit mit langwierigen Debatten zur Staatsschuldengrenze.
Darüber hinaus wird durch die Münzprägung auch die Rolle des Staates als Währungsschöpfer verdeutlicht, der weder auf Steuereinnahmen noch auf das Geld vom Kapitalmarkt zur Ausgabentätigung angewiesen ist. Die Münzprägung macht ganz offensichtlich, dass der Staat die Währung erst in den Umlauf bringen muss, bevor er sie über Steuern oder Staatsanleihen wieder aus dem Geldkreislauf zieht ― und nicht andersherum.
Da insbesondere die finanziellen Grenzen der staatlichen Handlungsfähigkeit weit verbreiteten und tief verfestigten Irrtümern unterliegen, wäre es pädagogisch von hohem Nutzen, der Bevölkerung zu demonstrieren, dass
- ein monetär souveräner Staat finanziell nicht beschränkt ist und
- „Geld drucken“ oder „Münzen prägen“ kein größeres Inflationsrisiko birgt als die gegenwärtige ― für Laien intransparente ― Praxis.
Münzprägung bildet
Außerdem würde niemand auf die Idee kommen, dass die Münzprägung eine Belastung für die nächste Generation darstellt oder, dass der Staat auf das Leihen von Münzen aus dem Ausland zurückgreifen muss ― beides ebenfalls verfestigte Mythen. In diesem Sinne würde es sich anbieten, die Platinmünzen im Foyer der Zentralbank zu Bildungszwecken auszustellen, damit selbst Kinder die Handlungsfähigkeit des Staates begreifen können ― die gegenwärtige, unnötig intransparente Praxis verhindert dies erfolgreich. Der Idee einer demokratischen Geldpolitik wäre damit allemal gedient.
Auch wenn eine Umsetzung des „Automatic BOOST to Communities Act“ politisch äußerst unwahrscheinlich ist – so würde er doch die Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik transparenter gestalten und die Geldpolitik vereinfachen: Das Finanzministerium nutzt seine Befugnis der Geldschöpfung und tätigt damit die entsprechenden Ausgaben im Rahmen der Fiskalpolitik. Die Zentralbank hingegen kann dann entweder bestehende Staatsanleihen oder ― als Novum ― eigenständig kreierte Schuldtitel, deren Konditionen und Laufzeiten sie frei und entsprechend ihrer geldpolitischen Ziele definiert, zur Steuerung des Interbankenzinses nutzen. Dies erleichtert den Job der FED, ihre geldpolitischen Ziele zu erreichen.
Die Tatsache, dass Staatsanleihen als Finanzierungsinstrument gesehen werden, verkompliziert die gegenwärtige Ausführung der Geldpolitik, da die FED mit den vom Finanzministerium ausgegeben Anleihen arbeiten muss. Diese Anleihen werden allerdings mit dem Ziel der Minimierung der Zinslast und nicht in Hinblick auf geldpolitische Ziele ausgegeben. Daraus erwachsen Komplikationen und Ineffizienzen im Rahmen der Geldpolitik.
Würde der „automatische BOOST“ Realität, würden Staatsanleihen endlich als das wahrgenommen, was sie wirklich sind: Instrumente der Interbankenzinssteuerung und nicht der Staatsfinanzierung.
Für die Eurozone nicht relevant
Die häufig hervorgebrachte Kritik, dass die Münze bloß ein zu vernachlässigender Buchhaltungstrick sei, greift in der Hinsicht ins Leere. Letztlich bestehen alle institutionellen Rahmenbedingung aus mehr oder wenig sinnvollen Regeln. Die Platinmünze ist quasi eine Buchhaltungslösung für ein Buchhaltungsproblem ― und damit kohärent.
Neben den pädagogischen Vorteilen ist die transparente Trennung zwischen Fiskal- und Geldpolitik durchaus sinnvoll und das Recht der Zentralbank, eigenständige Schuldtitel auszugeben, der effizienteren Gestaltung der Geldpolitik zuträglich.
Anders als in der USA besteht für den Euroraum ein solches Gesetz zur Erzeugung von frei denominierbaren Münzen unseres Wissens nach nicht. Artikel 128 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht für die Euroländer zwar das Recht der Ausgabe von Münzen vor, allerdings ist der Ausgabe-Umfang von der Genehmigung durch die EZB abhängig.
Darüber hinaus ist der Vorschlag für die Eurozone auch nicht relevant, da die Defizit- und Schuldenkriterien momentan suspendiert sind und die EZB mit dem Anleiheprogramm „PEPP“ die Zinshöhe der Staatsanleihen kontrolliert.
Autor: Maurice Höfgen, Dirk Ehnts