In der Vorwoche haben wir an dieser Stelle erläutert, wie die Inflation aus Perspektive der Modern Monetary Theory (MMT) zu verstehen ist, was ihre zugrundeliegenden Ursachen sind und welche Einflussmöglichkeiten der Staat hat.
In Teil 2 beleuchten wir im Folgenden, welche Rolle der Zinspolitik in Sachen Inflationssteuerung zuzumuten ist, wie der vermeintliche Widerspruch zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität aufgelöst werden kann und welche Bedeutung einer staatlichen Jobgarantie in dieser Hinsicht zukommt.
Ein zentrales Konzept für die gegenwärtige Geldpolitik ist die sogenannte non-accelerating inflationary rate of unemployment (NAIRU). Diesem Konzept zufolge gibt es ein langfristiges Arbeitslosigkeitsniveau, das von Arbeitsmarktinstitutionen und der Marktmacht der Unternehmen abhängt, und zu dem die Inflation stabil ist. Kurzfristige Abweichungen von diesem Niveau verursachen deflationären oder inflationären Druck und steuern die tatsächliche Arbeitslosigkeit in Richtung ihrer langfristigen Gleichgewichtsrate – so das Konzept.
Seit Beginn der neoliberalen Ära versuchen Zentralbanken Inflation durch Zinserhöhungen zu bekämpfen bzw. ihr vorzubeugen. Zinserhöhungen sollen private Investitionen abwürgen und über die damit verbundenen Multiplikatorwirkungen auf den Konsum der Konjunktur und somit auch etwaigen inflationären Tendenzen den Wind aus den Segeln nehmen.
Zumindest implizit heißt das: Es bedarf eines ausreichend hohen Maßes an Arbeitslosigkeit, um die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in Schach zu halten und deren Lohnforderungen zu disziplinieren, damit die in Teil 1 beschriebene Lohn-Preis-Spirale nicht befeuert wird. Dieser Ansatz wird auch als „unemployed buffer stock approach“ bezeichnet. Wie der Name schon deutlich macht, setzt diese Politik also – überspitzt formuliert – auf eine Reservearmee an Arbeitssuchenden. Die Folge ist die permanente Existenz unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, wodurch die ohnehin systematisch Benachteiligten überproportional hart getroffen werden.
Die Rolle der Zinspolitik
Aus Sicht der MMT sind Vollbeschäftigung und Preisstabilität keine Gegensätze, deren Trade-off von der Politik erkannt und festgelegt werden müsste. Vielmehr ist es höchste Zeit einzusehen, dass es die systematische Schwächung der Arbeitnehmerseite und Unterauslastung der Wirtschaft zwar geschafft hat, hohe Inflationsraten zu vermeiden, aber nicht in der Lage war, die Inflationsrate mit zufriedenstellender Präzision an das Inflationsziel zu führen und dort dauerhaft zu fixieren.
Das liegt auch daran, dass die Rolle der Geldpolitik über- und die Rolle der Fiskalpolitik unterschätzt wurden. Die bei der Geldpolitik angenommene klare Wirkungsrichtung, dass also Zinssenkungen (-erhöhungen) expansiv (kontraktiv) wirken, scheint nicht zu halten. Niedrigere Zinsen führen langfristig zu niedrigen Inflationsraten – und nicht zu höheren.
Das ist zunächst eine empirische Beobachtung (vgl. Werner/Lee, 2018), die aber auch theoretisch unterfüttert werden kann. Eigentlich sollen private Investitionen wegen sinkender Kreditkosten positiv auf Zinssenkungen reagieren – so die Annahme. Allerdings wird die Nachfrageseite dabei zu stark vernachlässigt. Warum sollte ein Unternehmen investieren, wenn es keine erhöhte Nachfrage nach seinen Waren verzeichnet oder diese verlässlicher Weise in der Zukunft erwarten kann? Die Mehrproduktion könnte dann nicht abgesetzt werden, also wäre eine Investition zu keinem Zins rentabel gewesen.
Zu oft wird auch der fiskalische Effekt der Zinsveränderung unberücksichtigt gelassen. Zinsen wirken auf die Nachfrage ein, weil durch sie auch der Zins der Staatsanleihen mitbestimmt wird. Angenommen, die Staatsverschuldung beträgt etwa 100% des BIP und der Zins 10%. Die Besitzer der Staatsanleihen bekommen dann einen Geldbetrag in Höhe von 10% des BIP ausgezahlt. Diesen können sie für Konsum ausgeben und so die Nachfrage und damit die Inflationsrate erhöhen – angenommen wird hier, dass der Staat seine sonstigen Ausgaben konstant hält und nicht steigende (sinkende) Zinszahlungen durch Einschränkungen (Erhöhung) sonstiger Ausgaben kompensiert.
Bei einem Nullzins entfällt dieser Transfer. Die Ausgaben werden bei Zinssenkungen also wohl sinken und die Inflationsrate tendenziell geringer ausfallen. Die Geldpolitik der Zentralbank funktioniert also sehr asymmetrisch: Zinssenkungen haben kurzfristig wenig Effekt, deutliche Zinssteigerungen aber sehr wohl. Wenn die Zentralbank den Zins plötzlich deutlich erhöhen würde, müssten Unternehmen die Investitionsrechnung korrigieren und würden ggf. von geplanten Investitionen absehen. Langfristig lösen aber sinkende Zinsen das Nachfrageproblem nicht.
Preisstabilität durch staatliche Jobgarantie
Das beste Mittel zur Sicherstellung von Preisstabilität, welches die MMT im Werkzeugkoffer hat, ist die Job Guarantee (JG). Die Grundidee der JG ist, dass der Staat allen, die arbeiten können und wollen, einen auf die Förderung des Gemeinwohls ausgerichteten staatlichen Arbeitsplatz zu fixen Konditionen anbietet. Der dafür bezahlte Lohn nebst Sozialleistungen wird dann zum effektiven nationalen Mindestlohn. Die Finanzierung erfolgt auf Bundesebene, die Stellen werden jedoch auf kommunaler Ebene vergeben und auf das Profil der JG-Teilnehmer zugeschnitten. Die JG-Stellen sind zusätzliche Arbeitsstellen in Bereichen, die derzeit nicht durch den Privatsektor oder die reguläre öffentliche Beschäftigung abgedeckt werden.
Das JG-Programm ist als ein Pufferbestand an bezahlten Jobs zu verstehen, der expandiert, wenn die privatwirtschaftliche Aktivität zurückgeht und kontrahiert, wenn die privatwirtschaftliche Aktivität steigt. Das bedeutet, dass die Beschäftigungsanzahl innerhalb der JG und damit zusammenhängend auch die Staatsausgaben während eines Booms abnehmen und andersherum während einer Rezession zunehmen. Eine solche Methode des Pufferbestands zwecks Preisstabilisierung ist aus dem Bereich der Landwirtschaft bekannt: Um den Preis eines landwirtschaftlichen Gutes zu stabilisieren, steht der Staat bereit, Überproduktion zu einem fixen Preis zu kaufen und dann im Bedarfsfall wieder zu verkaufen. Damit wird sichergestellt, dass der Preis nie signifikant vom staatlich akzeptierten Zielpreis abweicht. Ähnlich wie solch ein Pufferbestand die volle Auslastung eines landwirtschaftlichen Gutes bei gleichzeitiger Preisstabilität bedeutet, kombiniert die JG die Ziele von Vollbeschäftigung der vorhandenen Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Preisstabilität.
Als Monopolist der Währung obliegt es dem Staat, die Kaufkraft der Währungseinheiten zu beeinflussen, indem er festlegt, was von den Währungsnutzern getan werden muss, um an die Währungseinheiten zu gelangen. Der fixe JG-Stundenlohn definiert die Kaufkraft der Währung in Abhängigkeit von der Arbeitszeit. Mit der JG macht der Staat also von seiner Monopolstellung Gebrauch und legt den Mindestpreis für eine Stunde Arbeit in Austausch für die herausgebende Währung fest. Der fixe Stundenlohn, den alle JG-Teilnehmer erhalten, wirkt damit als Preis- und Lohnanker. Gemäß der marktwirtschaftlichen Logik passen sich alle anderen marktwirtschaftlich determinierten Preise gemäß der Marktmechanismen an und spiegeln dann den relativen Wert zum Preis von einer Arbeitsstunde innerhalb der JG wider. Dieser Preismechanismus wird allerdings durch Preissetzungsmacht von anderen Mono- und Oligopolen verzerrt und ist daher mehr als grundsätzliche Logik zu verstehen.
Eine Reservearmee an Jobs – und nicht an Arbeitssuchenden
Im Gegensatz zum „unemployed buffer stock“ setzt die JG auf einen „employed buffer stock“, also auf eine Reservearmee an Jobs und nicht an Arbeitslosen. Üblicherweise bevorzugen es Unternehmen, Personen einzustellen, die vorher nicht arbeitslos waren, da diese während ihrer Anstellung betriebliche Weiterbildung erfahren und dem vorherigen Arbeitgeber ihre Leistungsbereitschaft demonstriert haben. Da die JG Weiterbildungen (vor allem on-the-job Training) beinhaltet und den Teilnehmern das Demonstrieren von Leistungsbereitschaft, Pünktlichkeit, Teamfähigkeit etc. abverlangt, erleichtert die JG den Rekrutierungsprozess für Firmen. Dadurch kann die Mitarbeiterrekrutierung beschleunigt und die damit verbunden Kosten gesenkt werden.
Das hat zur Folge, dass Firmen ihre Produktionskapazitäten in Fällen, in denen die Gesamtnachfrage die bestehenden Kapazitäten übersteigt, schneller ausweiten können. Das schnellere Ausweiten der Produktionskapazität ermöglicht den Firmen auf erhöhte Nachfrage mit einer Ausweitung der Absatzmenge, statt mit Preiserhöhungen zu reagieren und reduziert somit das Risiko einer nachfrageseitig induzierten Inflation. Die JG ist also ein liquiderer „buffer stock“ als die arbeitslose Reservearmee und diesem Ansatz damit ökonomisch – und erst recht aus sozial-gesellschaftlichen Gründen – überlegen.Die jetzige Art der Inflationssteuerung verfehlt ständig ihr Ziel, erzeugt bzw. verfestigt dauerhafte Arbeitslosigkeit und trägt damit auch zu einer steigenden Ungleichheit bei
Darüber hinaus wirkt die JG als automatischer Stabilisator und glättet die Ausschläge des Konjunkturzyklus. Auch wenn die JG nicht dazu designt ist, alle Ursachen von Inflation bzw. Deflation zu adressieren, hilft die Stabilisierung des Konjunkturzyklus dabei, sowohl inflationäre als auch deflationäre Tendenzen abzumildern. Im Falle der nachfrageseitig getriebenen Inflation, die eine Reduzierung der Gesamtnachfrage erfordern kann, verhindert die JG, dass die wirtschaftspolitische Nachfragereduzierung zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit führt, indem den entlassenen Personen, neue Stellen angeboten werden. Im Vergleich dazu: Im NAIRU-Ansatz führt eine wirtschaftspolitische Reduzierung der Nachfrage schlicht zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit.
Mit der JG verändert die wirtschaftspolitische Nachfragesteuerung also das Verhältnis von JG-Stellen zu sonstigen Arbeitsstellen, während die Nachfragesteuerung im Status quo, also ohne JG, das Verhältnis von Arbeitslosigkeit zu sonstigen Arbeitsstellen verändert. Darüber hinaus kann einer nachfragegetriebenen Inflation aber eben auch begegnet werden, indem die Produktionskapazitäten ausgeweitet oder stärker ausgelastet werden. Auch hier ist die JG, die temporär darauf ausgerichtet werden kann, nachfragerelevante Produktion zu erzeugen, zweifellos um einiges hilfreicher als der NAIRU-Ansatz, der die betroffenen Personen beschäftigungslos lässt und den Abbau von „Humankapital“ riskiert.
Dasselbe gilt für das Adressieren angebotsseitiger Inflation, denn die JG kann auf die Beseitigung von Angebotsengpässen ausgerichtet werden. Dies geschieht etwa durch die Herstellung von Alternativprodukten für Güter, die bisher importiert wurden und unter Umständen regelmäßigen Preisschwankungen ausgesetzt sind, wie z.B. Energie oder gewisse Lebensmittel. Nebstdem ist die Höhe der JG-Beschäftigten ein relevanter Indikator für den branchen- und regionsspezifischen Auslastungsgrad der Wirtschaft, der für die adäquate Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und den zuvor beschrieben Prozess der Ausgabenplanung relevant ist.
Fazit
Unterstellungen, dass MMT-basierte Wirtschaftspolitik unweigerlich zu ausufernder Inflation führen oder die MMT die Bedeutung und Ursachen der Inflation nicht angemessen berücksichtigen würde, sind vollkommen ungerechtfertigt. Im Gegenteil: Die MMT rückt die Bedeutung des Währungsmonopols und die Einflussmöglichkeiten des Staates, die im ökonomischen Mainstream unberücksichtigt bleiben bzw. unterschätzt werden, in den Fokus und erweitert damit den Instrumentenkasten zur Steuerung des Preislevels. Zusammengefasst läuft die MMT darauf hinaus, dass es einer fiskalischen Theorie der Stabilisierung der Wirtschaft und eines reformierten Prozesses der Ausgabenplanung bedarf. Gerade der JG kommt dabei als Preisanker und „employed buffer stock“ eine besondere Rolle zu.
Die jetzige Art der Inflationssteuerung verfehlt ständig ihr Ziel, erzeugt bzw. verfestigt dauerhafte Arbeitslosigkeit und trägt damit auch zu einer steigenden Ungleichheit der Einkommen und Vermögen bei. Dadurch werden einige Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen und es entstehen Machtasymmetrien. Beides gefährdet die Demokratie in hohem Maße. Aus diesen Gründen erscheint ein Umdenken erforderlich. Die Einsichten und vorgeschlagenen Instrumente der MMT ermöglichen uns, Preisstabilität und Vollbeschäftigung als miteinander kompatible Ziele zu verfolgen
Autor: Maurice Höfgen, Dirk Ehnts und Marcel Dimke
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