MMT-Vertreter befürworten eine Fiskalpolitik, die auf Vollbeschäftigung abzielt. Beschwört eine solche Politik aber nicht eine schädliche Abwertung der Währung herauf?
Durch die analytische Linse der Modern Monetary Theory (MMT) lassen sich die monetären Zusammenhänge in modernen Volkswirtschaften verstehen. Da die ökonomische Welt durch die Linse der MMT anders aussieht als durch die Linse des ökonomischen Mainstreams, kommen Vertreter der MMT zu gänzlich anderen wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen.
So sieht die MMT die Geldpolitik als ein weitgehend ungeeignetes Instrument zur Steuerung der Wirtschaft und legt ihr Hauptaugenmerk auf die Fiskalpolitik. MMT-Vertreter befürworten eine Fiskalpolitik, die den vom Mainstream angenommenen Widerspruch zwischen Vollbeschäftigung und Preisstabilität aufhebt. Das soll mithilfe einer Kombination aus auslastungsorientierter Fiskalpolitik und der Einführung einer staatlichen Jobgarantie erreicht werden.
MMT-basierte Fiskalpolitik
Eine auslastungsorientierte Fiskalpolitik ist nicht auf Buchhaltungsziele, etwa eine ausgeglichene Staatsausgabenbilanz, sondern auf funktionale Ziele, zum Beispiel Vollbeschäftigung oder den ökologischen Umbau der Wirtschaft unter Berücksichtigung eines Inflationsziels, ausgerichtet. Anders gesagt: Aus MMT-Sicht sollten die fiskalischen Ausgaben so hoch sein, dass alle Ressourcen der Wirtschaft im Sinne des Gemeinwohls ausgelastet werden.
Die Ausgabengrenze ist erst dann überschritten, wenn die aggregierte Nachfrage die Kapazitätsgrenze an realen Ressourcen überschreitet und ein Wettbieten um Güter und Dienstleistungen die Preise über das Inflationsziel hinaus steigen lässt. Um das zu verhindern, wird ein reformierter Ausgabenprozess vorgeschlagen, der nicht nach den verfügbaren Zentralbankbankguthaben des Finanzministeriums fragt, sondern auf einer detaillierten Analyse der Kapazitätsauslastung der realen Ressourcen basiert.
Die staatliche Jobgarantie (JG) ist ein universelles Angebot an jeden, der Arbeit sucht, einer örtlich verfügbaren und auf das individuelle Leistungsprofil ausgerichteten Beschäftigung zum existenzsichernden Mindestlohn nachzugehen. Die JG ist als Pufferbestand an Jobs zu verstehen, der größer (kleiner) wird, wenn die Wirtschaft lahmt (boomt). Sie wirkt daher als automatischer Stabilisator, der Vollbeschäftigung garantiert und dem Ziel der Preisstabilität dient (hier eine ausführliche Einführung in die Idee der Jobgarantie).
Das Argument der Währungsabwertung
Als Argument gegen eine derartige Vollbeschäftigungspolitik wird unter anderem das Argument der Währungsabwertung in den Ring geworfen und unterstellt, die Wirtschaftspolitik müsse sich der Logik der neoliberalen Globalisierung unterwerfen.
Die Annahme ist, dass Währungstransaktionen, die mit den globalen Warenflüssen, also dem Welthandel, zusammenhängen, maßgeblich für die Bestimmung der Wechselkurse sind. Da nun die JG das Einkommen der JG-Teilnehmer erhöht, werden diese vermutlich ihre Konsumausgaben erhöhen, wodurch letztlich über den fiskalischen Multiplikatoreffekt das Gesamteinkommen und die Gesamtnachfrage steigen.
Üblicherweise steigen mit höheren Konsumausgaben auch die Importe, also die aus dem Ausland bezogenen Güter und Dienstleistungen. Wenn die Summe der Importe relativ zur Summe der Exporte steigt, fällt der Handelsbilansaldo – je nach Kontext kann dies entweder ein verringertes oder erhöhtes Außenhandelsdefizit bedeuten. Dies führe zu einer Abwertung der Währung, da die ausländische Währung nun stärker nachgefragt werde als die inländische Währung.
Eine Währungsabwertung gilt als problematisch, weil sie Importe in heimischer Währung verteuert – im Vergleich zum Zustand vor der Abwertung muss mehr von der heimischen Währung aufgebracht werden, um die Importe in Fremdwährung zu bezahlen. Der so induzierte Preisanstieg wird importierte Inflation genannt.
Zwei Gründe gegen das Argument der Währungsabwertung seien kurz erläutert. Das erste Argument richtet sich gegen die Prämisse, dass der Wechselkurs vom Weltgüterhandel bestimmt wird. Das zweite Argument dagegen, dass Abwertung und importierte Inflation per se ein makroökonomisches Argument gegen eine Vollbeschäftigungpolitik mit Hilfe einer Jobgarantie darstellen.
Wechselkursbewegungen prognostizieren?
Die Prämisse des Abwertungsarguments, dass Wechselkursbewegungen mit Fundamentaldaten – etwa auf Basis der Handelsbilanzen zweier Währungsräume – eng miteinander korrelieren, ist nicht haltbar.
Zunächst einmal werden Wechselkurse auf dem Devisenmarkt gebildet und kommen durch Angebot und Nachfrage nach den jeweiligen Währungen zustande. Nun ist es nicht so, dass die Preise, die auf Finanzmärkten zustande kommen, die Verhältnisse der realwirtschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln und adäquate Preisinformationen produzieren. Der Großteil der Aktivitäten auf diesen Märkten von Finanztransaktionen hängen – wenn überhaupt – nur lose mit dem Welthandel zusammen. Vielmehr werden sie von casinoähnlichen Spekulationen und Herdenverhalten getrieben.
Der Finanzmarkt funktioniert gänzlich anders als ein Konsumgütermarkt. Steigt der Preis für Konsumgüter, etwa für Kartoffeln, sinkt üblicherweise die Nachfrage. Steigt aber der Preis für Finanzmarktprodukte wie Aktien oder Währungsderivate, interpretieren Spekulanten dies als Hinweis, dass es eine Preisrallye geben könnte, die sie natürlich nicht verpassen wollen. Das treibt die Nachfrage nach oben. Der Preismechanismus auf Finanzmärkten funktioniert also fundamental anders als auf Gütermärkten.
Daher verwundert es wenig, dass es bisher kein ökonomisches Modell gibt, das die Veränderungen von Wechselkursen akkurat prognostizieren kann. Letztlich ist auch der Link von den Handelsbilanzeffekten einer Vollbeschäftigungspolitik zur Abwertung einer Währung keineswegs unbestreitbar .
Den Sachverhalt unters Makroskop legen
Angenommen, es kommt tatsächlich zu dem behaupteten Effekt – wie problematisch wäre die importierte Inflation tatsächlich? Zwar hat eine Abwertung der Währung Verteilungswirkungen im Importland, aber sie gibt keine verlässliche Auskunft über die Veränderung des realen Wohlstandsniveaus. Der Wechselkurs determiniert die Kaufkraft einer einzelnen Währungseinheit, aber nicht die Kaufkraft aller Währungseinheiten. Doch genau davon hängt der makroökonomische Effekt für den materiellen Wohlstand eines Landes ab.
Für den Gesamtwohlstand ist nicht entscheidend, wie viele Güter und Dienstleistungen mit einem einzelnen Euro (auf jede Währung anwendbar) gekauft werden können, sondern wie viele Güter und Dienstleistungen alle Euros zu kaufen in der Lage sind. Führt also die Vollbeschäftigungspolitik samt Jobgarantie zu mehr Einkommen und dadurch zu mehr Importen, steigt auch der materielle Reichtum des Importlandes ― der sich aus der heimischen Produktion plus aller Importe minus aller Exporte zusammensetzt.
Eine Währungsabwertung verändert die Kaufkraft einzelner inländischer Akteure, die Gesellschaft insgesamt ist aber materiell bessergestellt. Die Verteilungswirkung ist durchaus relevant, kann aber ebenfalls und viel effektiver mit der Fiskalpolitik adressiert werden. Verteilungsfragen lassen sich nicht durch Gürtel-enger-Schnallen auf Kosten der Arbeitslosen lösen, sondern durch vernünftige Steuerpolitik und staatliche Regulierung.
Fazit
Die Drohkulisse einer Währungsabwertung ist also kein starkes makroökonomisches Argument gegen eine Vollbeschäftigungspolitik nach dem Muster der MMT. Sowohl Prämisse als auch Schlussfolgerung sind nicht überzeugend.
Das heißt nicht, dass Umverteilung ein zu vernachlässigendes Problem sei. Im Gegenteil: Eine Analyse der makroökonomischen Zusammenhänge ermöglicht, die richtigen Instrumente für die jeweiligen Probleme zu finden. Zugunsten der Verteilungswirkung auf Vollbeschäftigungspolitik zu verzichten, ist aus rein makroökonomischer Perspektive ein fauler Kompromiss.
Realpolitisch mag die Abwägung zwischen Vollbeschäftigungspolitik und Verteilungswirkungen dann schwierig werden, wenn etwaige Umverteilungseffekte von der Regierung nicht adäquat adressiert würden und harte Einschnitte für die untere Einkommensschicht bedeuteten. Das ist in manchen Entwicklungsländern Fall, die übermäßig von importierten Lebensmitteln und Energie abhängig sind. Das allerdings ist eine politische und keine rein makroökonomische Abwägung und sollte entsprechend so differenziert werden.
Autor: Maurice Höfgen
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